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10 April 2025

„Ungleichbehandlung" Von Unternehmen Aus Nicht-EU-Staaten

LP
Leinemann Partner Rechtsanwälte

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Bereits in der Ausgabe 11/23 beschäftigte sich der Schwerpunktbeitrag mit der Frage der Zulassung von Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten.
Germany Government, Public Sector

Bereits in der Ausgabe 11/23 beschäftigte sich der Schwerpunktbeitrag mit der Frage der Zulassung von Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten. Eine Entscheidung des EuGH aus dem Herbst 2024 bringt nunmehr neue Aspekte ein, die im folgenden Beitrag beleuchtet werden.

Bisher wurde allgemein davon ausgegangen, dass ein generelles Verbot für Bieter aus Drittstaaten, sich an Vergabeverfahren zu beteiligen, nach der nationalen Rechtslage als vergaberechtswidrig einzustufen ist. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 97 Abs. 2 GWB unterscheidet nicht danach, ob ein Bieter aus einem EU-Mitgliedsstaat, einem GPA-Staat oder einem anderen Drittstaat kommt. Dem entgegen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 22. Oktober 2024 (C-652/22 - Kolin) entschieden, dass Unternehmen aus Drittstaaten, die keine internationale Übereinkunft mit der Europäischen Union (EU) hinsichtlich eines Zugangs zu öffentlichen Aufträgen in der EU geschlossen haben, keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Unternehmen aus EU-Mitgliedsstaaten im Rahmen öffentlicher Vergabeverfahren in der EU haben. Diese Drittstaatsunternehmen können sich nach dem Urteil des EuGH bei der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen generell nicht auf das EU-Vergaberecht und dessen Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten berufen.

Die Entscheidung

Eine kroatische öffentliche Auftraggeberin führte ein Vergabeverfahren über den Bau einer Eisenbahninfrastruktur zwischen den Orten Hrvatski Leskovac und Karlovac durch. Ein türkisches Unternehmen nahm an dieser öffentlichen Ausschreibung teil, erhielt jedoch nicht den Zuschlag und beanstandete anschließend die Zuschlagsentscheidung vor der hierfür in Kroatien zuständigen staatlichen Kontrollkommission für die öffentliche Auftragsvergabe (Kontrollkommission). Streitgegenstand war insbesondere die Frage, ob die Auftraggeberin im Rahmen der Angebotsbewertung ergänzende Referenzangaben von dem für den Zuschlag ausgewählten Unternehmen nachfordern durfte. Die Kontrollkommission bestätigte die Zuschlagsentscheidung letztlich und begründete dies damit, dass öffentliche Auftraggeber Bieter nach den vergaberechtlichen Bestimmungen dazu auffordern könnten, vorgelegte Nachweise zu vervollständigen oder zu erläutern. Diese Entscheidung wurde von dem türkischen Unternehmen vor dem Hohen Verwaltungsgericht in Kroatien mit der Begründung angegriffen, dass die Möglichkeit der Ergänzung von Referenzangaben zu einer Ungleichbehandlung der Bieter führen würde. Das angerufene kroatische Verwaltungsgericht legte dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Artikel 267 AEUV verschiedene Fragen zur Auslegung des EU-Vergaberechts und insbesondere zu den Möglichkeiten und Grenzen einer Nachforderung von Eignungsnachweisen im Rahmen der Angebotsbewertung gemäß Artikel 76 der Richtlinie 2014/25/EU vor.

Der EuGH lehnte das Vorabentscheidungsersuchen des kroatischen Verwaltungsgerichts als unzulässig ab und beantwortete die Vorlagefragen nicht. Die erbetene Vorabentscheidung zur Auslegung des Artikels 76 der Richtlinie 2014/25/EU sei mangels Anwendbarkeit des EU-Vergaberechts schon nicht erforderlich, um den Ausgangsrechtsstreit zu entscheiden. Die Vorlagefragen seien daher für unzulässig zu erklären, da sich das türkische Unternehmen schon nicht auf das EU-Vergaberecht berufen kann.

Unternehmen aus Drittstaaten

Der EuGH stützt sich darauf, dass sich das die Zuschlagsentscheidung beanstandende türkische Unternehmen mangels entsprechender völkerrechtlicher Vereinbarung nicht auf die Vorschriften des EU-Vergaberechts berufen kann.

Der Gerichtshof stellte in der Entscheidung zunächst klar, dass Unternehmen aus Unterzeichnerstaaten internationaler Übereinkünfte zum öffentlichen Auftragswesen, insbesondere des Übereinkommens der Welthandelsorganisation über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA), einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Unternehmen aus der EU im Rahmen von EU-Vergabeverfahren genießen. Diese internationale Verpflichtung würde sich aus Artikel 43 der Richtlinie 2014/25/EU ergeben, der bestimmt, dass öffentliche Auftraggeber der EU-Mitgliedsstaaten auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die ein solches Übereinkommen unterzeichnet haben, keine ungünstigeren Bedingungen anwenden dürfen als auf Wirtschaftsteilnehmer aus der Europäischen Union. In dem 27. Erwägungsgrund der Richtlinie würde hierzu erläutert, dass das Recht auf eine nicht ungünstigere Behandlung auch umfasst, dass sich diese Wirtschaftsteilnehmer auf die Bestimmungen dieser Richtlinie berufen können.

Hingegen hätten Unternehmen aus Drittstaaten ohne eine solche völkerrechtliche Vereinbarung mangels entsprechender Regelung kein Recht auf eine Gleichbehandlung mit Wirtschaftsteilnehmern aus der EU und könnten sich auch nicht auf die bieterschützenden Vorschriften des EU-Vergaberechts berufen.

Ausschließliche Regelungskompetenz der EU

Der EuGH betonte in der Entscheidung weiter, dass die Regelung des Marktzugangs für Unternehmen aus Drittstaaten hinsichtlich der Teilnahme an Verfahren zur öffentlichen Auftragsvergabe in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt. Die Mitgliedstaaten seien daher nicht befugt, nationale Vergaberechtsvorschriften zu erlassen, die Unternehmen aus einzelnen oder allen Drittstaaten eine Gleichbehandlung mit Wirtschaftsteilnehmern aus EU-Mitgliedstaaten oder andere besondere Vergünstigungen gewähren. Eine Anwendung des deutschen Vergaberechts dahingehend, dass der formal vorbehaltlose Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 97 Abs. 2 GWB auch zu Gunsten von solchen Drittstaatsunternehmen greife, scheidet damit aus.

Zugang von Drittstaatsunternehmen zu EU-Vergabeverfahren

Nach dem Urteil des EuGH liegt es zudem im Ermessen des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers, ob Unternehmen aus Drittstaaten ohne entsprechende internationale Übereinkommen überhaupt zum Vergabeverfahren zugelassen werden. Derzeit sei, so der EuGH mangels von der Union erlassener Ausschlussmaßnahme eine Teilnahme von Bietern zwar möglich. Öffentlichen Auftraggebern stehe es jedoch frei, die dargestellten Unterschiede in der Rechtsstellung der Wirtschaftsteilnehmer durch entsprechende Behandlungsmodalitäten in den Auftragsunterlagen und Bewertungsanpassungen hinsichtlich der Angebote angemessen zu berücksichtigen.

Anpassungerfordernis für die Rechtsprechung

Das EuGH-Urteil sorgt für EU-weite Kohärenz und Rechtssicherheit hinsichtlich der rechtlichen Behandlung von Unternehmen aus Drittstaaten im Rahmen von EU-Vergabeverfahren. Es bekräftigt die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Regelung des Marktzugangs im öffentlichen Auftragswesen und betont zugleich die Bedeutung internationaler Übereinkünfte für den Zugang von Drittstaatsunternehmen zu öffentlichen Aufträgen in der EU. Der Gerichtshof stellt sich damit in Widerspruch etwa zu früheren Entscheidungen des Vergabesenats des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 01.12.2021 – Verg 54/20; Beschluss vom 31.05.2017 – VII-Verg 36/16), in denen dieser die Rechtsauffassung vertrat, dass das EU-Vergaberecht keine geografischen Einschränkungen für die Beteiligung an Vergabeverfahren kenne, der Zugang zu Vergabeverfahren für Unternehmen aus Drittstaaten als gegeben anzusehen sei und die EU-Vergaberichtlinien kein Recht zur Ungleichbehandlung von Bietern aus Drittstaaten gewähre. Diese Rechtsauffassung ist durch das EuGH-Urteil nunmehr überholt. Auch die einseitige weltweite Marktöffnung der Bundesrepublik Deutschland für Drittstaaten im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge durch den sogenannten "Drei-Minister-Erlass" aus dem Jahre 1960 dürfte spätestens mit dieser Entscheidung keine praktische Relevanz mehr haben und Geschichte sein. Der Vorrang des Europarechts ist umfassend zu wahren, auch wenn dies bedeutet, dass der Wettbewerb zu Lasten von Drittstaatsunternehmen ausdrücklich eingeschränkt werden kann und keine Rechtsmittel gegen eine Ungleichbehandlung zur Verfügung stehen.

Auswirkungen auf die Ausschreibungspraxis öffentlicher Auftraggeber

Der EuGH stärkt mit dieser Entscheidung die Handlungsmöglichkeiten für öffentliche Auftraggeber bei einer Angebotsbeteiligung durch Drittstaatsunternehmen. Öffentlichen Auftraggebern eröffnet das Urteil die Festlegung, ob Unternehmen aus Drittstaaten ohne internationale Übereinkünfte zum öffentlichen Auftragswesen überhaupt zu einem Vergabeverfahren zugelassen werden. Im Falle einer Zulassung zum Vergabeverfahren können öffentliche Auftraggeber zudem die Unterschiede in der Rechtsstellung der Wirtschaftsteilnehmer in den Vergabeunterlagen und im Rahmen der Angebotsbewertung angemessen berücksichtigen. Eine Gleichbehandlung mit Wirtschaftsteilnehmern aus EU-Mitgliedsstaaten muss insoweit nicht erfolgen.

Auch das Bundeministerium für Justiz weist durch ein von ihr im Dezember 2024 herausgegebenes Rundschreiben auf die Entscheidung des EuGH hin und gibt hier ebenfalls Hinweise zum weiteren Umgang mit der Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zur Nichtzulassung von Bietern aus Drittstaaten, die weder Vertragsparteien des GPA sind noch eine sonstige internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zuganges zu öffentlichen Aufträgen geschlossen haben. Diesen Unternehmen kommt kein Recht auf Gleichbehandlung im Vergabeverfahren zu. Aus der EuGH-Entscheidung folgt zugleich, dass diese Unternehmen damit insoweit auch keinen Anspruch auf vergaberechtlichen Rechtsschutz gegen eine für sie nachteilige Vergabeentscheidung zusteht.

Auswirkungen für Unternehmen aus Drittstaaten

Für Unternehmen aus Drittstaaten ohne eine entsprechende völkerrechtliche Vereinbarung mit der EU ergeben sich aus der EuGH-Entscheidung erhebliche Hürden hinsichtlich einer aussichtsreichen Teilnahmemöglichkeit an öffentlichen Ausschreibungen in der EU. Sie haben keinen unionsrechtlichen Anspruch auf Teilnahme an EU-Vergabeverfahren und können sich auch nicht auf die Vorschriften der EU-Vergaberichtlinien und damit grundsätzlich auch nicht auf deren Umsetzung in den Mitgliedsstaaten berufen. Selbst wenn diese Drittstaatsunternehmen zu einem Vergabeverfahren zugelassen werden, haben Sie keinen Anspruch auf eine Gleichbehandlung mit Unternehmen aus EU-Mitgliedsstaaten. Zuletzt können diese Drittstaatsunternehmen Vergabeentscheidungen nicht wegen einer Verletzung des EU-Vergaberechts bei den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen angreifen.

Offene Fragen nach der Entscheidung des EuGH

Unklar bleibt nach der Entscheidung – denn dies war hier nicht entscheidungserheblich – wie in Zukunft mit Unterauftragnehmern, Eignungsverleihern oder auch an Bietergemeinschaften beteiligten Unternehmen aus Drittstaaten umzugehen ist. Hierzu finden sich in den Vergaberichtlinien der EU keine Regelungen. Zwar nicht entschieden, jedoch aufgrund der Begründung naheliegend dürfte es aber wohl sein, dass es öffentlichen Auftraggebern auch hier freisteht, Beteiligungen, egal ob als Unterauftragnehmer, Eignungsleiher oder auch Teil einer Bietergemeinschaft, aus Drittstaaten auszuschließen.

Bestätigung durch weitere Entscheidung

Inzwischen hat der EuGH in einem weiteren Verfahren über ein Vorabentscheidungsersuchen die vorstehend dargestellte Auffassung nochmals bestätigt (EuGH, Urteil vom 13. März 2025, C-266/22). Die dortige Entscheidung betrifft ein Vergabeverfahren für den Erwerb von 20 neuen überregionalen elektrischen Triebwagenzügen nebst Wartungs- und Reparaturdienstleistungen in Rumänien. Es gaben zwei Wirtschaftsteilnehmer, nämlich ein Konsortium unter der Federführung eines Unternehmens mit Sitz in China und Alstom Ferroviaria, Angebote ab. Die Auftraggeberin vergab den Auftrag an Alston Ferroviaria und schloss das Konsortium vom Wettbewerb aus. Als Grund für den Ausschluss wurde angeführt, dass das federführende Unternehmen des Konsortiums nicht unter den Begriff Wirtschaftsteilnehmer" im Sinne des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen falle, da sich ihr satzungsmäßiger Sitz in China befinde. Hiergegen legte das Konsortium Beschwerde ein. Im Rahmen dieser Beschwerde machte das Konsortium geltend, der Ausschluss verstoße gegen die rumänische Verfassung und gegen das Unionsrecht. Gegen die abweisende Entscheidung erhob das Konsortium Klage. Im Rahmen seiner Klage macht das Konsortium geltend, die Änderung der Vorschriften eines Vergabeverfahrens während dieses Verfahrens stelle einen Verstoß gegen mehrere Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, des Rückwirkungsverbots, der Transparenz und der Gleichbehandlung, dar.

Der EuGH entschied nach Anrufung durch das nationale Gericht gleichlaufend zu der bereits erörterten Entscheidung vom 22. Oktober 2024. Zwischen China und der EU besteht keine internationale Übereinkunft über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zuganges zu öffentlichen Aufträgen. Damit bekräftigt der EuGH nochmals seine Entscheidung aus dem Jahr 2024.

Fazit

Mit den Entscheidungen hat der EuGH die Frage des Zugangs bzw. der Gleichbehandlung von Unternehmen aus Drittstaaten, die weder Vertragsparteien des GPA sind noch eine sonstige internationale Übereinkunft mit der Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zuganges zu öffentlichen Aufträgen geschlossen haben, entschieden. Schon um sich nicht einseitig aggressivem, staatlich gestützten Wettbewerbsverhalten solcher Drittstaaten bzw. deren Unternehmen auszuliefern, sind die Bewertungen und Klarstellungen des EuGH zu begrüßen. Für öffentliche Auftraggeber eröffnet das für die Zukunft einen erweiterten Handlungsspielraum – der Ausschluss von Unternehmen aus Drittstaaten bzw. die zulässige Ungleichbehandlung durch bspw. schlechtere Bewertung ist möglich. Eine Ungleichbehandlung ist aber nur gegenüber Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten möglich, die nicht Vertragsparteien des GPA bzw. sonstiger Übereinkünfte sind. Es ist also in jedem Fall zu prüfen, ob mit dem Drittstaat ein solches Übereinkommen besteht. Auch können sich wohl Tochterunternehmen mit Sitz innerhalb der EU oder eines GPA-Vertragsstaates auf den Zugang zum europäischen Vergabemarkt und eine Gleichbehandlung berufen. Anzunehmen ist wohl auch, dass einzelne Drittstaaten nach diesen Entscheidungen einen Beitritt bzw. den Abschluss zu entsprechenden Übereinkommen in Betracht ziehen.

Originally published in VergabeNews, Issue 04/2025, pp. 54 ff., Reguvis Verlag.

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