Das Bundesgericht hatte mit Urteil vom 14. Dezember 2015 bestätigt, dass die Praxis des Bundesamts für Gesundheit (BAG), die Preise von Arzneimitteln der Spezialitätenliste (SL) bei der ordentlichen Dreijahresüberprüfung grundsätzlich nur im Vergleich mit den Auslandpreisen zu überprüfen, gegen das Krankenversicherungsgesetz (KVG) verstösst. In der Folge hat der Bundesrat eine Revision der Krankenversicherungsverordnung (KVV) sowie der Krankenpflege- Leistungsverordnung (KLV) an die Hand genommen, um die Regeln betreffend die Festsetzung der Medikamentenpreise mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in Einklang zu bringen. Die revidierten Verordnungen werden per 1. März 2017 in Kraft treten.

Praxis des BAG bei Preisüberprüfungen

Das BAG überprüft bei der Aufnahme in die SL und daraufhin alle drei Jahre, ob ein Arzneimittel die Aufnahmebedingungen erfüllt, mithin wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich ist (sog. WZW-Kriterien). Für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels sind grundsätzlich der Auslandspreisvergleich (APV) sowie der therapeutische Quervergleich (TQV) massgebend. Beim APV erfolgt ein Vergleich mit den Preisen desselben Arzneimittels in Staaten mit wirtschaftlich vergleichbaren Strukturen im Pharmabereich, den sog. Referenzländern (derzeit: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Grossbritannien, Österreich und Schweden). Der TQV beruht auf einem Preisvergleich mit anderen in der SL enthaltenen Arzneimitteln gleicher Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise. Bei der dreijährlichen Überprüfung wurde in der Regel jedoch lediglich der APV berücksichtigt, nicht aber der TQV. Der SL Preis ist der Maximalpreis, den die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) vergütet.

Erfolgreiche Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesgericht Am 30. April 2015 hiess das Bundesverwaltungsgericht im Grundsatzurteil C 5912/2013 die Beschwerde einer Zulassungsinhaberin gut, die gegen eine Verfügung des BAG gerichtet war, mit welcher im Rahmen der dreijährlichen Überprüfung die Preise für ein Arzneimittel einzig gestützt auf den APV und ohne Berücksichtigung des TQV gesenkt worden waren. Das Bundesgericht bestätigte dieses Urteil mit dem Entscheid 9C_417/2015 vom 14. Dezember 2015.

Die Gerichte gelangten zum Schluss, dass nur durch den Vergleich verschiedener Kosten-Nutzen-Verhältnisse entschieden werden kann, ob ein bestimmtes Arzneimittel wirtschaftlich im Sinne des KVG ist. Mit dem Verzicht auf die Durchführung des TQV bei der dreijährlichen Überprüfung würden allfällige Veränderungen in der Spezialitätenliste, namentlich in Form von neuen, eventuell erheblich wirksameren Arzneimitteln oder von neuen Studien über die Wirkung des zu prüfenden Arzneimittels gänzlich unbeachtlich bleiben. Damit werde das vom Gesetzgeber ausdrücklich angestrebte Ziel, unwirtschaftliche Leistungen auszusondern, unterlaufen. Die seit 2009 vom BAG angewandte Praxis, den TQV nur bei der Aufnahme eines Arzneimittels, aber nicht mehr bei späteren Preisüberprüfungen zu berücksichtigen, erweise sich als gesetzeswidrig und verstosse gegen das Legalitätsprinzip. Nur der Gesetzgeber hätte einen solchen Systemwechsel mittels Revision des KVG beschliessen können. Zur gegenseitigen Gewichtung von APV und TQV äusserten sich die Gerichte hingegen nicht.

Reaktion des Bundesrates

Als Reaktion auf die Gerichtsurteile, welche die Rechtswidrigkeit der Praxis des BAG und der entsprechenden Verordnungsgrundlagen festgestellt hatten, teilte der Bundesrat den betroffenen Pharmaunternehmen im Februar 2016 mit, dass die geltenden Verordnungsbestimmungen revidiert und an die Rechtsprechung angepasst würden. Auf die Durchführung der Dreijahres-Preisüberprüfung 2016 werde verzichtet, und die nächste reguläre Überprüfung der Aufnahmebedingungen finde voraussichtlich 2017 nach den dannzumaligen neuen Bestimmungen statt. Neuaufnahmen und sonstige Überprüfungen (z.B. bei Änderung der Indikation/Limitation) erfolgten aber weiterhin nach geltendem Recht.

Der Vernehmlassungsentwurf für die Revision von KVV und KLV wurde im Juli 2016 veröffentlicht. Nach der Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen liegen nun die am 2. Februar verabschiedeten definitiven Fassungen der KVV und der KLV vor, wie sie per 1. März 2017 in Kraft treten werden. Es ist zu erwarten, dass auch eine revidierte Fassung des SL Handbuchs, der Verwaltungsverordnung des BAG zur Anwendung der Bestimmungen betreffend die SL, erscheinen wird.

Neue Regelungen per 1. März 2017

Prüfung der Aufnahmebedingungen Die Kriterien für die Prüfung, ob ein Arzneimittel nach wie vor alle Aufnahmebedingungen erfüllt, werden künftig für alle Prüftatbestände (bei der Aufnahme, dreijährlichen Prüfung etc.) grundsätzlich die gleichen sein. Zunächst müssen neben der Wirtschaftlichkeit stets auch die Wirksamkeit und Zweckmässigkeit überprüft werden. Ferner werden bei der Wirtschaftlichkeitsüberprüfung jeweils sowohl ein APV wie auch ein TQV durchgeführt, die beide je zu 50% gewichtet werden (bisher: 2/3 zu 1/3). Auf Spezialregelungen bei der Dreijahresüberprüfung oder in anderen Konstellationen wird zugunsten der neuen, einheitlichen Regelung zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit verzichtet. Ebenfalls entfällt jegliche Obergrenze für die Berücksichtigung des TQV im Verhältnis zum APV (bisher: Obergrenze von APV+5%). Beibehalten wird die Möglichkeit, bei einer Indikationserweiterung / Limitierungsänderung die Preisüberprüfung nach dem sog. Prävalenzmodell durchzuführen.

Der TQV soll neu mit solchen Arzneimitteln erfolgen, die zur Behandlung derselben Krankheit eingesetzt werden. Bisher wurde bei der Auswahl der Vergleichspräparate auf die gleiche Indikation oder ähnliche Wirkungsweise abgestellt. Ob mit dieser Änderung die früheren Unsicherheiten beseitigt werden, er- scheint höchst fraglich. Vielmehr ist zu erwarten, dass neue Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen werden. Bei der Neuaufnahme eines Arzneimittels soll der TQV gemäss den Erläuterungen zu den Verordnungsänderungen künftig auch mit patentabgelaufenen Originalpräparaten durchgeführt werden können. Auch diesbezüglich bleiben erhebliche Rechtsunsicherheiten bestehen. Bei der Dreijahresüberprüfung werden für den TQV die Preise per 1. Januar des Überprüfungsjahres berücksichtigt, wobei Änderungen bis zum 1. Juli des Überprüfungsjahres miteinbezogen werden. Bisher wurde bei der Durchführung des TQV bereits auf die erst per 1. September des Überprüfungsjahres geltenden zukünftigen Preise abgestellt, was zu erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Problemen führte.

Der Stichtag für die allenfalls zu verfügenden Preissenkungen wird vom 1. September auf den 1. Dezember des jeweiligen Überprüfungsjahres verschoben, um den umfangreicheren

Überprüfung der Aufnahmebedingungen nach Patentablauf

Bei Überprüfungen anlässlich des Patentablaufs erfolgt der TQV ausschliesslich mit patentabgelaufenen Originalpräparaten, ohne Berücksichtigung eines Innovationszuschlages. Weiterhin nicht vorgesehen ist ein Vergleich mit Generika, weil diese einem anderen Preisbildungsmechanismus unterliegen. Ausserdem wird das BAG künftig erst dann eine Überprüfung nach Patentablauf durchführen, wenn der Patentschutz für alle relevanten Patente eines Originalpräparates abgelaufen ist und ein Markteintritt von Generika möglich ist, weshalb Verfahrenspatente diesbezüglich neu ebenfalls berücksichtigt werden. Allenfalls verbleibender Patentschutz für eine Indikation wird jedoch nicht berücksichtigt. Daher erfolgt die Überprüfung des Originalpräparates, sobald mindestens eine Indikation des Arzneimittels nicht mehr patentrechtlich geschützt ist.

Anpassungen bei Generika

Um bei den Generika weitere Kosteneinsparungen zu erreichen, werden die Preisabstände zu den Originalpräparaten angepasst. Neu müssen Generika bei der Aufnahme in die SL zwischen 20% (bei kleinen Marktvolumen; bisher 10%) und 70% (bei grossen Marktvolumen; bisher 60%) günstiger sein als der Fabrikabgabepreis des Originalpräparats nach Patentablauf. Dabei wird allerdings neu das Marktvolumen je Handelsform desselben Wirkstoffs und nicht mehr für sämtliche Handelsformen desselben Wirkstoffs berücksichtigt. Das BAG wird die Definitionen der einzelnen Handelsformen (d.h. der galenischen Formulierungen wie z.B. Tablette, Sirup, Salbe etc.) im SL-Handbuch aufführen.

Bei der Dreijahresüberprüfung werden weiterhin grundsätzlich geringere Preisabstände zwischen Originalpräparaten und Generika vorgesehen sein als bei der Aufnahme in die SL. Je nach Marktvolumen betragen die Preisabstände neu zwischen 10% und 35% (bisher entweder 10% oder 20%).

Mit Blick auf die weitere Zukunft hat der Bundesrat bereits angekündigt, für Generika ein Referenzpreissystem vorzuschlagen, wonach das BAG für jeden Wirkstoff einen einheitlichen Höchstpreis festsetzt. Dies erfordert jedoch eine Revision des KVG, welche im Laufe des Jahres 2017 in die Vernehmlassung geschickt und 2020 in Kraft treten soll.

Erhöhung der Transparen

zNeben den Grundlagen zur Beurteilung der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit sowie des TQV und des Innovationszuschlags wird das BAG neu auch den durchschnittlichen Fabrikabgabepreis der Referenzländer, der sich aus dem APV ergibt, veröffentlichen.

Übergangsrecht: Anwendung auf hängige Gesuche

Die Vernehmlassungsvorlage hatte noch keine Übergangsbestimmungen enthalten. Die definitiven Fassungen der Verordnungen sehen nun vor, dass die neuen Bestimmungen auch für Gesuche gelten, die bei Inkrafttreten am 1. März 2017 beim BAG hängig sind.

Weitere Neuerungen

Neben den neuen Regeln betreffend die Festsetzung der Medikamentenpreise werden weitere Regelungsgegenstände revidiert:

  • Die Bestimmungen zur Vergütung von nicht in der SL enthaltenen Arzneimitteln werden neu strukturiert und inhaltlich angepasst. So wird neu eine Mit- wirkung der Zulassungsinhaberin bei der Preisbestimmung und ein Entscheid über eine Kostengutsprache innert zwei Wochen nach Vorliegen eines vollständigen Gesuchs verlangt. An den materiellen Voraussetzungen einer Kostenübernahme ändert sich indessen nichts. Im Übrigen sieht der Bundesrat davon ab, für Arzneimittel, die in klinischen Studien verwendet werden, eine Kostenübernahme durch die obligatorische OKP einzuführen.
  • Die Schwelle für die Erhöhung des Selbstbehalts wird herabgesetzt, um weitere Einsparungen zugunsten der OKP zu erzielen. Bisher war für eine Erhöhung des Selbstbehalts von 10% auf 20% des Preises des zu vergütenden Arzneimittels verlangt, dass das entsprechende Arzneimittel mindestens 20% teurer ist als der Durchschnitt des günstigsten Drittels aller Arzneimittel mit gleicher Wirkstoffzusammensetzung. Neu wird der differenzierte Selbstbehalt bereits bei einem Unterschied von mindestens 10% heraufgesetzt.

Fazit

Mit dem Inkrafttreten der revidierten Fassungen der KVV und KLV findet ein mehrere Jahre andauernder Prozess, der Verwaltungsbehörden, Pharmaunternehmen und Gerichte stark in Anspruch genommen hat, einen vorläufigen Abschluss. Der Bundesrat war in seinem Revisionsvorhaben bestrebt, die erkannten Defizite zu eliminieren. Dennoch bleibt zu erwarten, dass sich angesichts der grossen Ermessensspielräume im Rahmen des nun regelmässig durchzuführenden TQV (und des APV) neue Rechts- und Sachfragen stellen werden, die wiederum die Gerichte beschäftigen werden. Auch kommt auf das BAG und die Pharmafirmen ein erheblicher Mehraufwand zu, der durch die wesentlich umfangreicheren Überprüfungen der Aufnahmekriterien verursacht werden wird.

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