In einem Grundsatzentscheid vom 30. April 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, die bald fünfjährige Praxis des Bundesamts für Gesundheit (BAG), die Preise von Arzneimitteln der Spezialitätenliste nur im Vergleich mit den Auslandpreisen zu überprüfen, verstosse gegen Bundesrecht. Das BAG hatte bei der alle drei Jahre vorzunehmenden Preisüberprüfung nur einen Auslandspreisvergleich, nicht aber einen Vergleich mit anderen Arzneimitteln im Inland durchgeführt. Im Lichte dieses (allerdings noch nicht rechtskräftigen) Entscheids ist fraglich, ob die neuesten, vom Bundesrat und dem Eidgenössischen Departement des Innern per 1. Juni 2015 beschlossenen Änderungen des Preisfestsetzungsregimes gesetzeskonform sind.

Bisherige Praxis des Bundesamts für Gesundheit

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) überprüft gemäss Art. 65d Abs. 1 der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) sämtliche Arzneimittel der Spezialitätenliste (SL) alle drei Jahre daraufhin, ob sie die Aufnahmebedingungen noch erfüllen, mithin wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind. Für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels sind grundsätzlich der therapeutische Quervergleich (TQV) und der Auslandspreisvergleich (APV) massgebend (Art. 65b Abs. 2 KVV), und zwar zu je 50%. Bei der dreijährlichen Überprüfung wird jedoch gestützt auf Art. 65d Abs. 1bis Bst. a KVV lediglich der APV berücksichtigt; der TQV wird in der Regel nur durchgeführt, wenn der Vergleich mit der Preisgestaltung im Ausland im Einzelfall nicht möglich ist. Je nachdem, ob der TQV miteinbezogen wird, resultiert aber ein anderer Arzneimittelpreis.

Eingeschränkte Überprüfung ist nicht gesetzeskonform

Gegenstand des Bundesverwaltungsgerichtsentscheids C-5912/2013 vom 30. April 2015 bildete eine Verfügung des BAG, mit welcher einzig gestützt auf den APV und ohne Berücksichtigung des TQV die Preise für ein Arzneimittel im Rahmen der dreijährlichen Überprüfung um rund 26% gesenkt wurden.

In diesem Urteil hielt das Bundesverwaltungsgericht zunächst fest, dass die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels bis 2009 gemäss ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung immer sowohl eine Prüfung des TQV als auch des APV umfasste. Die beim TQV durchzuführende Prüfung der Kosten-Nutzen-Relation wurde als für den Wirtschaftlichkeitsbegriff wesensnotwendiges Beurteilungskriterium verstanden. Einzig in Fällen, in denen kein Vergleichspräparat für den TQV vorhanden und dessen Durchführung deshalb nicht möglich war, wurde allein auf den APV abgestellt.

Mit den seit 2009 von Bundesrat und Eidgenössische Departement des Innern (EDI) sukzessive beschlossenen Änderungen der KVV und der Krankenpflege- Leistungsverordnung (KLV) sollten die Kosten von Arzneimitteln gezielt und verstärkt gesenkt werden. Dazu diente auch die Einführung von Art. 65d Abs. 1bis KVV mit der Revision vom März 2012, wonach bei der dreijährlichen Überprüfung der Wirtschaftlichkeit ausschliesslich auf den APV abzustellen ist und der TQV nur noch zur Anwendung gelangt, wenn ein APV nicht möglich sein sollte. Folglich führte das BAG den TQV regelmässig nur noch bei der Aufnahme eines Arzneimittels in die SL durch.

Das Bundesverwaltungsgericht erblickte im nachträglich mit Art. 65d Abs. 1bis Bst. a KVV eingefügten Verzicht auf den TQV einen Systemwechsel, der in klarem Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Wirtschaftlichkeitsbegriff gemäss Art. 32 Abs. 1 des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) steht. Bei der dreijährlichen Überprüfung seien nach dem Willen des Gesetzgebers dieselben Kriterien anzuwenden wie bei der Aufnahme eines Arzneimittels in die SL (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit); der Verordnungsgeber habe nicht die Kompetenz, von diesem Prüfsystem abzuweichen. Der inzident überprüfte Art. 65d Abs. 1bis Bst. a KVV verstosse demnach gegen das verfassungsmässige Legalitätsprinzip. Ausserdem hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass sich die Zulassungsinhaberin betreffend die behördliche Preisfestlegung auch auf die Wirtschaftsfreiheit berufen könne. Mangels gesetzlicher Grundlage verletze der angefochtene Entscheid auch dieses Grundrecht.

Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts kann beim Bundesgericht angefochten werden und ist noch nicht rechtskräftig.

Änderungen der KVV und der KLV per 1. Juni 2015

Der Bundesrat und das EDI haben per 1. Juni 2015 diverse Änderungen der KVV und der KLV betreffend die Preisfestsetzung von Arzneimitteln beschlossen. Einige wichtige Neuerungen sind die Folgenden:

  • Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit zur Aufnahme eines Arzneimittels in die SL soll künftig der APV doppelt und der TQV einfach gewichtet werden. Der neu festgesetzte Preis darf den APV in der Regel um höchstens 5% überschreiten.
  • Der Länderkorb für den APV wird mit Belgien, Finnland und Schweden um drei Referenzländer erweitert. Zusätzlich sollen in den Referenzländern verbindliche Rabatte ebenfalls bei der Preisfestsetzung in der Schweiz berücksichtigt werden.
  • Bei der dreijährlichen Überprüfung wird der APV zu zwei Dritteln und der bisherige Preis zu einem Drittel berücksichtigt, die bisher gültige Toleranzmarge von 5% fällt hingegen weg. Der TQV wird weiterhin nur ausnahmsweise durchgeführt, namentlich wenn der APV nicht oder nur in weniger als drei Referenzländern durchführbar ist.

Fazit

Im neuen Leitentscheid legt das Bundesverwaltungsgericht die Vorgaben des KVG streng aus. Die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels soll bei der dreijährlichen Überprüfung nach den gleichen Kriterien geprüft werden wie bei der Aufnahme auf die SL. Dabei sind sowohl der APV als auch der TQV zu berücksichtigen.

Die auf den 1. Juni 2015 beschlossenen Verordnungsänderungen sehen dagegen weiterhin unterschiedliche Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei der Aufnahme auf die SL und bei der dreijährlichen Überprüfung vor. Der TQV verliert durch seine weniger starke Gewichtung im Vergleich zum APV noch generell an Bedeutung und wird bei der Dreijahresüberprüfung weiterhin nur ausnahmsweise berücksichtigt.

Sollte der genannte Bundesverwaltungsgerichtsentscheid in Rechtskraft erwachsen, erscheint deshalb fraglich, ob die neuen Regelungen rechtmässig sind.

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