I. Einleitung

Mit BGE 136 IV 188 hat das Bundesgericht die in der Lehre lang umstrittene Frage entschieden, ob das GwG (insb. Art. 6 und 9 GwG) eine Garantenpflicht des Finanzintermediärs begründe. Entgegen der damaligen Mehrheitsmeinung bejahte das Bundesgericht eine Garantenpflicht des Finanzintermediärs (auch aufgrund der damaligen EBK-Geldwäschereirichtlinie sowie der internen Richtlinien der betroffenen Bank). Es bestätigte die Verurteilung eines Bankdirektors wegen Geldwäscherei durch Unterlassen, der seiner Pflicht, weitere Abklärungen vorzunehmen und den Fall dem zuständigen Komitee für die Meldung an die MROS weiterzuleiten, nicht nachgekommen war (BGE 136 IV 188, E. 6, insb. 6.2.1).

Zu Recht haben sich kritische Stimmen in der Lehre gegen die Begründung einer Garantenpflicht aus Gesetz, gestützt auf Art. 6 und 9 GwG geäussert (vgl. u.a. Conrad Hari, Le blanchiment d'argent par omission, SZW 2012 361 ff.). Obwohl wir der Annahme einer Garantenpflicht in dieser Konstellation auch kritisch gegenüberstehen – und dies möglicherweise in einem zukünftigen Beitrag erläutern werden –, möchten wir in diesem Beitrag darlegen, warum der Tatbestand von Art. 305bis StGB aus anderen Gründen nicht durch Unterlassen erfüllt werden kann.

Richtigerweise kann die Geldwäscherei als schlichtes Tätigkeits- und abstraktes Gefährdungsdelikt kein unechtes Unterlassungsdelikt i.S.v. Art. 11 StGB darstellen. Diese im Rahmen unserer Kommentierung von Art. 11 StGB im Basler Kommentar entwickelte Position (Niggli/ Wiprächtiger [Hrsg.], Strafrecht, Basler Kommentar, 4. Aufl., Basel 2019 [nachfolgend BSK StGB4], Art. 11 N 40 ff.) ist eine Veranschaulichung wert, insbesondere im Zusammenhang mit dem vorgenannten Entscheid des Bundesgerichts BGE 136 IV 188.

II. Geldwäscherei als schlichtes Tätigkeitsdelikt sowie als abstraktes Gefährdungsdelikt

Art. 305bis StGB ist ein schlichtes Tätigkeitsdelikt in der Form eines abstrakten Gefährdungsdeliktes (vgl. Ackermann/Zehnder, in: Ackermann (Hrsg.), Kommentar Kriminelles Vermögen – Kriminelle Organisationen, 2 Bände, Zürich 2018, Art. 305bis N 106 f.). Den objektiven Tatbestand erfüllt, wer eine Handlung vornimmt, die abstrakt und typischerweise geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln (Art. 305bis Abs. 1 StGB). Konkret bedeutet dies, dass die blosse Vornahme einer solchen Handlung die Strafbarkeit nach sich zieht, unabhängig davon, ob konkret eine Einziehung erschwert oder verunmöglicht wurde. Anders als bei der als Erfolgsdelikt konzipierten Begünstigung nach Art. 305 StGB, setzt der Tatbestand von Art. 305bis StGB gerade keinen Erfolg voraus, weder in der Form einer tatsächlichen Schädigung, noch in derjenigen einer konkreten Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes. Das Unrecht besteht lediglich im sog. Handlungsunwert.

Nichts anderes ergibt sich aus dem erwähnten Bundesgerichtsentscheid:

«Le blanchiment d'argent est une infraction de mise en danger abstraite, et non pas de résultat (ATF 128 IV 117 consid. 7a p. 131; ATF 127 IV 20 consid. 3a p. 25 s.). Le comportement délictueux [...] peut être réalisé par n'importe quel acte propre à entraver l'identification de l'origine, la découverte ou la confiscation de la valeur patrimoniale provenant d'un crime (ATF 122 IV 211 consid. 2 p. 215; ATF 119 IV 242 consid. 1a p. 243).» (BGE 136 IV 188, E. 6.1)

Eine Konstruktion als schlichtes Tätigkeitsdelikt in der Form eines abstrakten Gefährdungsdeliktes bedeutet einerseits eine tiefere Beweisschwelle, andererseits aber auch eine gewisse Vorverlagerung der Strafbarkeit (vgl. Donatsch/Tag, Strafrecht I – Verbrechenslehre, 9. Aufl., Zürich 2013, 106 f.). Dies mag vorteilhaft für die Strafverfolgung sein, erweist sich aber als starke Einschränkung der Legitimität der Strafnorm. Abstrakte Gefährdungsdelikte setzten eine abstrakte Gefahr voraus. Abstrakt ist die Gefahr auch dann, wenn überhaupt keine konkrete Gefahr geschaffen wurde, d.h. eine Gefahr nur hätte geschaffen werden können. Der Witz bei der abstrakten Gefahr ist, dass sie gerade keine konkrete sein muss und dass die abstrakte Gefahr manchmal nur in der Potentialität existiert.

Um ein übliches Beispiel zu nehmen: Verkehrsregelverletzungen (Art. 90 SVG) wie z.B. Geschwindigkeitsüberschreitungen, sind typische abstrakte Gefährdungsdelikte (vgl. Fiolka, in: Niggli/Probst/Waldmann (Hrsg.), Basler Kommentar Strassenverkehrsgesetz, Basel 2014, Art. 90 N 9 f., 29 sowie 45 ff.). Wenn niemand auf der Fahrbahn ist, wird niemand gefährdet. Die Geschwindigkeitsüberschreitung ist aber dennoch strafbar, und zwar mit der Begründung, dass sie für jeden hypothetischen (oder potentiellen) Fussgänger gefährlich gewesen wäre. Abstrakt ist also, in diesem Kontext, gleichzusetzen mit potentiell. Da keine (bzw. nur eine potentielle) Gefahr vorausgesetzt wird, knüpft die Strafbarkeit notwendigerweise ausschliesslich an der Vornahme einer bestimmten Handlung an, in unserem Beispiel der Geschwindigkeitsüberschreitung (vgl. BGE 129 IV 53, E. 3.5: «Es entspricht gerade dem Wesen der abstrakten Gefährdungsdelikte, dass nicht zum Vornherein ersichtlich ist, in welcher Weise [...] die dem Delikt innewohnende Gefahr sich auswirken kann.»). Das Unrecht besteht also gänzlich im Handlungsunwert. Die Begründung, die Geschwindigkeitsüberschreitung wäre für jeden potentiellen Fussgänger gefährlich gewesen, erweist sich zwar als richtig, aber die Tatsache, dass konkret niemand auf der Strasse war und nichts passiert ist (oder hätte passieren können), kann nicht weggedacht werden. Bestraft wird der Fahrer, nicht weil er jemanden geschädigt hat, und auch nicht weil er jemanden gefährdet hat, sondern schlicht weil er ihn hätte gefährden können. Die Möglichkeit der Gefährdung ist also die Möglichkeit der Möglichkeit einer Schädigung. Eine solche Strafe ist daher zweifellos weniger legitim als eine für einen Fahrer, der tatsächlich jemanden gefährdet oder sogar verletzt hat. Vorverlagerung der Strafbarkeit bedeutet Abkehr von der Legitimität, die sich aus der Verletzung oder Gefährdung ergibt.

Zusammengefasst: Abstrakte Gefährdungsdelikte weisen ihrer Natur nach eine beschränkte Legitimität auf und knüpfen an der blossen Vornahme einer bestimmten Handlung an. Übertragen auf die Geldwäscherei nach Art. 305bis StGB heisst dies, dass die Strafbarkeit der Geldwäscherei grundsätzlich eine beschränkte Legitimität aufweist, weil sie hauptsächlich an der Tathandlung anknüpft. Diese zwei Erkenntnisse sind der Grund, warum der Tatbestand der Geldwäscherei nicht durch Unterlassen erfüllt werden kann.

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