I. Ausgangslage

Art. 20 der Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Gesellschaften (VegüV) führt die Formen der Vergütung an Mitglieder des Verwaltungsra­tes, der Geschäftsleitung und des Beirates auf,1 die unzu­lässig sind. Hervorzuheben sind (i) Abgangsentschädi­gungen (Art. 20 Ziff. 1 VegüV), (ii) Vergütungen, die im Voraus ausgerichtet wurden (Art. 20 Ziff. 2 VegüV) und (iii) Provisionen für gewisse Unternehmensübernahmen (Art. 20 Abs. 3 VegüV). Die Ausrichtung solcher Ver­gütungen wird von Art. 24 VegüV unter Strafe gestellt, sofern sie «wider besseres Wissen» erfolgt. Auch mehr als zwei Jahre nach Inkrafttreten der VegüV bleiben viele Fragen in Bezug auf diese unzulässigen Vergütungen un­geklärt. Entsprechend besteht in der Praxis eine grosse Unsicherheit bei der Ausgestaltung von Verträgen, ins­besondere mit Geschäftsleitungsmitgliedern. Als mögli­cher Stolperstein hat sich auch immer wieder das Verbot der «Vergütung im Voraus» erwiesen. Dieser Beitrag hat sich daher zum Ziel gesetzt, die Deutungsmöglichkeiten dieses Phänomens auszuloten und dessen Kontouren zu schärfen. Zu diesem Zweck gehe ich zunächst auf die Entstehungsgeschichte und anschliessend – in Erman­gelung einschlägiger gerichtlicher Entscheide – auf den Meinungstand in der Lehre ein.

II. Entstehungsgeschichte

Bereits der Initiativtext der eidgenössischen Volksini­tiative «gegen die Abzockerei» sah vor, dass Organmit­glieder «keine Vergütung im Voraus» erhalten sollten (Art. 95 Abs. 3 lit. b BV). In den Erläuterungen zum Ini­tiativtext vom Januar 2010 wurde unter Ziff. 5 gefordert, dass folgende Verbote zu erlassen seien: «Keine Voraus­zahlungen an VR- und GL-Mitglieder, bevor sie ihre Stelle überhaupt angetreten haben (Fall «Corti», Swiss­air)[Hervorhebung im Originaltext]». Dieser Passus aus der Feder des Initiativkomitees legt nahe, dass es um den Zeitpunkt der Auszahlung geht: Vor Stellenantritt ist die Zahlung einer Vergütung unzulässig. Der Wortlaut die­ser Erläuterungen legt nahe, dass die Initianten in einer Vergütung nach Stellenantritt «keine Zahlung im Vor­aus» mehr sahen. Allerdings darf der wenig präzis redi­gierte Passus wohl auch nicht überbewertet werden.

Mario Corti war im Jahr 2001 zum Verwaltungsratsprä­sidenten und Vorsitzenden der Geschäftsleitung ad in­terim der angeschlagenen SAirGroup gewählt worden. Mutmasslich als Absicherung aufgrund der Schieflage der SAirGroup, bezog Corti für seine Tätigkeit eine Zahlung im Voraus von 5 Jahreslöhnen, d.h. einen Be­trag von ca. CHF 12.5 Millionen. Dieser Umstand wurde in der Öffentlichkeit im Rahmen der 2002 eingeleiteten Abwicklung der SAirGroup thematisiert und sorgte ver­schiedentlich – unter anderem wohl auch bei Thomas Minder – für Unmut.2 Diese Vorauszahlung an Mario Corti stellt, wie oben dargetan, die erklärte Grundlage für die Aufnahme des Verbots von Vergütungen im Vor­aus in den Initiativtext dar.3

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* Thomas U. Reutter, Rechtsanwalt, Bär & Karrer AG. Der Autor dankt Frédéric Mancosu herzlich für seine Unterstützung bei die­sem Beitrag.

Footnotes

1 Nachfolgend wird vorwiegend vom praktisch relevanten Fall der Vergütung an ein Mitglied der Geschäftsleitung gesprochen. Die Ausführungen gelten aber analog auch für Mitglieder des Verwal­tungsrates oder eines allfälligen Beirates. Für den Begriff «Ge­schäftsleitung» werden alternativ auch die Ausdrücke «Manage­ment» oder «Konzernleitung» verwendet.

2 Vgl. z.B. die Interpellation der Nationalräte Ruedi Lustenberger, Heinrich Estermann, Josef Leu und Felix Walker vom 5. März 2002, Geschäftsnr. 02.3023.

3 Vgl. Argumentarien Pro der Initianten zur Volksinitiative gegen die Abzockerei, einsehbar unter: http://www.parlament.ch/d/dokum entation/dossiers/abzockerei/Seiten/abzockerei-initiative.aspx (zuletzt besucht am 10. Februar 2016).

Previously published in GesKR 2/2016

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