Im türkischen Recht wird der Ausgleichansprucheines Handelsvertreters gegenüber dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses als Portfolioausgleich bezeichnet. Dieser Anspruch war bereits vor Inkrafttreten des neuen türkischen Handelsgesetzbuches ("HGB") durch die Rechtsprechung des Kassationshofes anerkannt. Mit dem Inkrafttreten des neuen HGB am1. Juli 2012 wurde der Anspruch in Art. 122 HGB kodifiziert.
Nach der amtlichen Begründung ist Art. 122 HGB dem § 89b des deutschen HGB und dem Art. 418u des schweizerischen Obligationenrechts nachgebildet.1
Gemäß Art. 122 HGB kann der Handelsvertreter vom Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn
- Der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat,
- der Handelsvertreterals Folge der Beendigung des Vertragsverhältnisses seinen Anspruch auf Zahlung bezüglich der mit den von ihm geworbenen Kunden abgeschlossenen Geschäfte oder in Kürze abzuschließenden Geschäfte verliert und
- die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht.
Für die Entstehung des Anspruchs müssen diese drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein.2
Nun ist in Artikel 122 Abs. 5 HGB vorgesehen, dass der Ausgleichsanspruch auch im Falle der Beendigung einer Alleinvertriebsvereinbarung Anwendung findet, soweit dies der Billigkeit entspricht. Eine weitere Voraussetzung als die der Billigkeit wird im Gesetz nicht genannt.
Beim Alleinvertriebsvertrag handelt es sich um einen Rahmenvertrag zwischen Lieferant und Vertriebspartner, aufgrund dessen der Vertriebspartner berechtigt wird, für ein bestimmtes Gebiet alle oder einen bestimmten Teil der Produkte des Lieferanten als einziger Verkäufer zu vertreiben.3 Der Vertriebspartner handelt in eigenem Namen und auf eigene Rechnung. Er ist verpflichtet, dem Lieferanten den Einkaufspreis für die Ware zu bezahlen. In einer Alleinvertriebsvereinbarung übernimmt der Lieferant typischerweise die vertragliche Verpflichtung, keine weiteren Vertriebspartner im Vertragsgebiet einzusetzen und seine Ware auch nicht selbst in dem Vertragsgebiet zu vertreiben oder durch Dritte vertreiben zu lassen.
In der deutschen Rechtsprechung ist anerkannt, dass der in § 89b des deutschen HGB Geregelter Handelsvertreterausgleich analog nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Einem Alleinvertriebspartner zu gewähren ist, wenn der Alleinvertriebshändler in das Vertriebssystem des Lieferanten ähnlich einem Handelsvertreter eingebunden ist und eine vertragliche Verpflichtung des Alleinvertriebshändlers zur Offenlegung des Kundenstamms besteht.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des türkischen Kassationshofes wird dem Alleinvertriebshändler ein Ausgleichanspruch zugebilligt, solange ihm nicht aus berechtigtem Grund gekündigt worden ist. Weitere Voraussetzungen an das Verhältnis zwischen dem Alleinvertriebshändler und dem Lieferanten, wie die Eingliederung des Vertriebshändlers in die Organisation des Lieferanten oder zumindest die Möglichkeit des Lieferanten vom durch den Alleinvertriebshändler geworbenen Kundenstamm Kenntnis zu nehmen, werden durch den türkischen Kassationshof zur Anspruchsbegründung nicht vorausgesetzt.
Nach der herrschenden Lehre inder Türkei entspricht die Anwendung des Ausgleichsanspruches auf Alleinvertriebsverträge nur dann der Billigkeit gemäß 122 Abs. 5 HGB, wenn der Alleinvertriebshändler ähnlich wie ein Handelsvertreter weisungsgebunden, in die Absatzorganisation des Unternehmens eingeordnet und gegenüber dem Lieferanten verpflichtet ist, diesem bei Beendigung des Vertragsverhältnisses seinen Kundenstamm zu überlassen, so dass sich der Lieferant den Kundenstamm des Alleinvertriebshändlers ohne weiteres nutzbar machen kann.4
Eine veröffentlichte Rechtsprechung des Kassationshofes zum neuen Art. 122 Abs. 5 HGB liegt noch nicht vor. Der Kassationshof hat bisher nur in Fällen entschieden, auf die das alte HGB anzuwenden war. Der Kassationshof verweist in seinen neuen Urteilen, die zwar dem alten Recht unterliegen aber nach dem Inkrafttreten des neuen HGB entschieden wurden, auf die Kodifizierung in Artikel 122 Abs. 5 HGB. Der Kassationshof sieht sich offensichtlich durch die Kodifizierung des Ausgleichanspruches in dem neuen HGB in seiner bisherigen Rechtsprechung gestärkt. Allerdings scheint der Kassationshof der nunmehr vom Gesetzgeber geforderten doppelten Billigkeitskontrolle in den Fällen von Alleinvertriebsverträgen bisher keine besondere Bedeutung zu schenken. Der Kassationshof Bejaht die Billigkeit lediglich mit dem Hinweis, dass die Gewährung des Kundenportfolioausgleichs dann nicht der Billigkeit entspreche, wenn der Lieferant den Vertrag aus einem berechtigten Grund gekündigt habe und eine berechtigte Kündigung nicht vorliege.5 Dieser Rechtsprechung ist nicht zu entnehmen, dass der Kassationshof, wie in der Literatur gefordert und wie in Deutschland praktiziert wird, für den Ausgleichsanspruch eines Alleinvertriebshändlers die Übernahme der vertraglichen Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstamms nach der Beendigung des Vertrages und die Einbindung in die Betriebsorganisation des Lieferanten ähnlich einem Handelsvertreter voraussetze.
Es bleibt offen, ob der Kassationshof nunmehr aufgrund der neuen Rechtslage, die eine Doppelte Billigkeitskontrolle für den Anspruch des Alleinvertriebshändlers voraussetzt, nämlich als Anwendungsvoraussetzung nach Art. 122 Abs. 5 HGB und als Anspruchsvoraussetzung nach Art. 122 Abs. 1 HGB, seine alte Rechtsprechung aufgeben und der herrschenden Ansicht in der Literatur folgen wird.
Footnotes
1 Amtliche Begründung zum HGB, Art. 122, in: Kaya, Türk Ticaret Kanunu Şerhi, 2013 Istanbul, S. 333.
2 Kassationshof, Entscheidungsnummer 2008/2759 vom 21. März 2008; 2000/3470 vom 4. Mai 2000.
3 Vgl. Kassationshof, Entscheidungsnummer 2001/6382 vom 11. Oktober 2001.
4 Demir Gökyayla, Milletlerarası Özel Hukukta Tek Satıcılık Sözleşmeleri, 2. Aufl. Istanbul, 2013, S. 258 ff.; Kaya, Türk Ticaret Kanunu Şerhi, 2013 Istanbul, S. 260 ff; Badak Aybar, 6102 Sayılı Türk Ticaret Kanunu'nda Denkleştirme İstemi, İTÜSBD 2013/2, S. 195.
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